Altperver Straße 11 – ein Ort mit viel Vergangenheit
Helga Weyhe ist mit ihren 95 Jahren die älteste Buchhändlerin Deutschlands. Die 1922 geborene Salzwedlerin führt ihren Buchladen in der Altperver Straße 11 bereits seit 1965. Gegeben hat es den Buchladen aber schon viel früher. 1840 gebaut, wandert er 1871 in Familienbesitz. Sogar die Einrichtung ist noch Original. Frau Weyhe ist aber viel herumgekommen, bevor sie sich wieder hier niedergelassen hat.
Nachdem sie ihr Abitur im Lyzeum Salzwedel gemacht hat, musste sie zunächst zum Reichsarbeitsdienst in Oberschlesien. Danach begann sie ihr Deutsch- und Geschichtsstudium in Breslau. Des Weiteren bildete sie sich in Königsberg und Wien fort. 1945 wird sie Buchhändlerin in der Sowjetischen Besatzungszone, 1949 dann auch in der DDR, wo sie vor genau 53 Jahren den Buchladen ihres Vaters übernahm.
Noch heute arbeitet sie alleine in ihrem Buchladen. Und dabei ist sie noch topfit. Auch ihr Sortiment kennt die Buchhändlerin wie ihre eigene Westentasche. Indem sie all ihre Bücher zumindest einmal durchblättert, weiß sie genau was gut ist und was nicht. „Ich muss zumindest mal reingucken, da kann ich am besten verkaufen.“ Dabei verzichtet sie auch mal auf die Bestseller: „Wird so viel Quatsch gedruckt!“, meint sie. Das kann ja jeder haben. Kriminalromane mag Helga Weyhe auch nicht. Nur die richtig Guten, von Agatha Christie. Man findet eben auch noch ältere Literatur bei ihr im Handel.
Das Besondere ist aber nicht nur die etwas andere Auswahl, sondern auch die Buchhandlung selbst. Die Einrichtung gibt es hier noch von 1880. Manche Kunden meinen, man könne die Vergangenheit sogar riechen, darunter auch Edeltraut Oswalt: „Das ist ja gerade das Schöne und das Besondere daran, dass der Laden wie aus der Zeit gefallen ist. Die meisten freuen sich über die alten Dielen, manche sagen, das riecht hier auch ganz anders. Und wir haben eine perfekte Buchhändlerin hier. Die nicht gerade nach der Bestenliste geht, sondern nach Inhalten sucht. Und findet.“ Helga Weyhes Buchladen ist bereits auf der ganzen Welt bekannt geworden: „Meine Kundschaft ist von Boston bis Bombay.“, erzählt sie.
Helga Weyhes größter Traum war es, schon als sie ein kleines Mädchen war, nach New York zu reisen. In die Lexington Avenue, wo ihr Onkel Erhard Weyhe, welcher 1914 dorthin ausgewandert ist, seinen Buchladen hatte. Aber in diesen Zeiten war es schwer, nach Amerika zu kommen. „Also das hätte ich schon gerne gemacht. Aber erst waren die Braunen da, dann kam der Krieg, dann kamen die Roten. Dann war das auch nicht möglich. Aber wir haben immer in Verbindung gestanden.“, so sagt sie. 1985, als sie schon in Rente war, hat sie es endlich geschafft, ihre Cousine in Amerika zu treffen und sich den alten Laden anzuschauen.
Es gab aber auch schlechte Zeiten. Da hat die Buchhandlung kurz vor dem Ende gestanden. In den 50er Jahren sollte die Buchhandlung durch die SED geschlossen werden. Wieso es dann doch nicht so kam, weiß Helga Weyhe selbst nicht genau. Sie glaubt aber, dass sich damals jemand für ihr Geschäft eingesetzt hat.
Aber wie soll es denn weitergehen? Nach bald 200 Jahren ist die Zukunft der Buchhandlung noch unklar, denn Frau Weihe hat keinen Nachfolger. Aber so weit will sie noch gar nicht denken. Stolz sein kann sie dafür auf den Deutschen Buchhandlungspreis, den sie im August 2017 gewann, die älteste Buchhändlerin Deutschlands.
Von Ole Olbrich, Klasse 8, Friedrich-Ludwig-Jahn-Gymnasium Salzwedel