American Dream oder Albtraum?
Ein Erfahrungsbericht rund um das Thema Auslandsjahr, von Marlene Althoff, Klasse 8/3, Dr.-Frank- Gymnasium Staßfurt.
Staßfurt/Berlin - Rund 16.000 Schüler wagen jährlich den Sprung ins Abenteuer und entscheiden sich für ein Schuljahr im Ausland. Die USA ist und bleibt das beliebteste Gastland unter zahlreichen Angeboten. Wer träumt nicht davon, in eine neue Kultur einzutauchen und dabei scheinbar spielend leicht eine Sprache zu erlernen? Diesen Traum hatte auch Dr. phil. Juliane Felber, nachdem sie in der neunten Klassenstufe einen Austauschschüler kennen lernte. Heute arbeitet sie als Psychologin an der IB-Hochschule in Berlin und gab interessante Einblicke und erstaunliche Berichte zu ihrem “Year Abroad”-Preis.
Juliane, wo hast du dein Auslandsjahr verbracht?
Juliane: “Ich war in den USA im Staat “North Carolina”. Die Stadt Winston Salem war 20 Autominuten von meinem damaligen Wohnort namens Clemmons entfernt.”
Wie verlief die Anmeldung für das Auslandsjahr und über welche Agentur wurde sie organisiert?
Juliane: “Nachdem in unserem Klassenraum einmal Flyer von verschiedenen Organisationen auslagen, wusste ich, dass so etwas wie ein Auslandsjahr erst möglich ist. Und ich habe mich dafür interessiert. Als dann ein mexikanischer Austauschschüler mit der Agentur “Youth for understanding”, kurz “YFU” in der neunten Klasse unsere Schule besuchte, war ich total angetan von der Idee ins Ausland zu gehen. Danach habe ich bei dieser Agentur Material angefordert und mich schließlich beworben. Ich musste dann an einer Art “Eignungstest” teilnehmen, bei dem Englischkenntnisse, Noten, Meinungsbildung und viele andere Faktoren abgefragt wurden.”
Viele, die auf das Thema stoßen, sind sehr erschrocken über die hohen Kosten, die das Auslandsjahr verursacht. Was sagst du dazu?
Juliane: “Meine Mutter hat mich damals unterstützt und mir gesagt, wir würden eine Lösung finden. Ich habe mich dann für ein Stipendium beworben, das die Agentur anbot. Meine Eltern haben natürlich gehofft, dass ihnen die hohen Kosten von circa 5.000-6.000 Euro dann erspart blieben. Doch dadurch, dass es Schüler gab, die noch mehr auf ein Stipendium angewiesen waren als ich, bekam ich eine Absage. Schließlich gelang es meiner Familie trotz familiärer und finanzieller Probleme, die Kosten zu finanzieren. Meine Schwester hatte danach nicht mehr so viel Glück, als sie ebenfalls über ein Austauschjahr nachdachte. Man sollte noch dazusagen, dass dieses, von der Organisation geforderte Geld, jedoch nur ein Grundpreis war, der alle Kosten, die in dem Jahr sonst noch auftraten, zum Beispiel die Schulbücher, Verpflegung, Freizeitaktivitäten etc., nicht deckte. Glücklicherweise hatte ich aber eine sehr spendable Gastfamilie, die mehr Kosten übernommen hat, als sie gemusst hätte. Das besondere an meiner Situation war, dass meine Gastfamilie auch sehr wohlhabend war und wir viele kostenintensive Sachen unternommen haben. Eigentlich achten die Austauschagenturen immer darauf, “mittelklassige” Gastfamilien für das Programm auszuwählen. Nachträglich kann ich sagen, dass das Jahr an sich teurer als der Grundpreis war.”
Als 16-jähriges Mädchen allein ins Ausland zu fliegen und sich in eine unbekannte Gesellschaft einzufügen, war doch bestimmt sehr Angst einflößend. Was waren deine größten Sorgen und Ängste und denkst du im Nachhinein, dass sie begründet waren?
Juliane: “Also erst einmal bin ich nicht allein ins Ausland geflogen, sondern wir waren eine Gruppe von Schülern, die sich am Flughafen in Frankfurt a. M. getroffen hat und zusammen ins Ausland geflogen wurde. Wir konnten uns dann untereinander auch austauschen. Als ich dann aber in den USA ankam, war ich komplett überfordert und habe mich sehr unwohl gefühlt. Die Zeitverschiebung hat mir sehr zu schaffen gemacht und ich wurde auch nicht in meinem Wohnort, sondern in dem Urlaubsort meiner Familie abgesetzt. Sie hatten sich entschieden, ihren Urlaub noch zu beenden und mich dort auch noch die letzten Tage mitwohnen zu lassen. Wie gesagt, die finanzielle Lage, in der sich meine Gastfamilie befand, war sehr unüblich. Die Gastfamilie hatte sozusagen eine “typisch amerikanische Selbstverständlichkeit” und außerdem habe ich gemerkt, dass mein Schulenglisch wirklich nicht ausreichte, um mich dort zu verständigen. Auch die kulturellen Unterschiede waren größer, als ich dachte. Anfangs war es sehr schwer, mich an meine Gastfamilie, vor allen meine Gastmutter, anzupassen, weil ich gemerkt habe, dass es einfach nicht so wirklich passte. Auch viele andere Schüler in dieser Situation haben die gleichen Probleme. Es ist einfach komisch in eine Familie gesteckt zu werden, die nun ein ganzes Jahr für dich verantwortlich sein wird. Die Beziehung zu meinem Gastvater war jedoch angenehmer. Ich weiß, dass es nicht immer so “schick” abläuft, wie es auf dem Flyer präsentiert wird. Dass meine Gastfamilie so wohlhabend war, bedeutete aber nicht, dass ich mich automatisch wohlgefühlt habe. Die Eltern befanden sich kurz vor der Scheidung und meine Gastschwestern, eine jüngere und eine ältere, hatten beide auch Probleme. Die Ältere der beiden war oft gemein zu mir und ich musste beobachten, wie die Familienmitglieder mit eigenen Problemen wie zum Beispiel Magersucht oder wie gesagt, Scheidung zu kämpfen hatten. Ich war ihre erste und letzte Austauschschülerin. Ich war praktisch ein “Konfliktverzögerer” für die Eltern. Viele haben aber auch ein wunderbares Austauschjahr verbracht, da die Familien einfach sehr erfahren waren.

Wie sah es denn in der Schule aus? Was war dort anders?
Juliane: “Das ist eine sehr gute Frage, denn es gab große Unterschiede zur deutschen Schule. Erst musste ich zum Schulpsychologen und habe einen Test gemacht, der mich in die richtige Klassenstufe einstufen sollte. Es war alles sehr flexibel für mich und ich habe auch während des Jahres noch einmal meine Kurse tauschen können. Jedoch war das Besondere, dass ich wirklich jede Woche die gleichen 6 Stunden täglich hatte. Es gab viele spezialisierte Kurse, wie zum Beispiel “Home Economics” (Hauswirtschaftslehre) und anderes. Der Matheunterricht hat mir sehr geholfen, Unterrichtsstoff aufzunehmen, den ich in Deutschland nicht verstanden oder verpasst hatte. Ich denke, dass ich ohne den Matheunterricht in den USA keine Grundlage für das Abitur in Deutschland gehabt hätte. Die Lehrer waren sehr interessiert an mir als Austauschschüler. Sie haben sich immer vergewissert, dass ich alles verstehe und auch die Schüler waren stets freundlich und fanden es spannend, einen Mitschüler aus einem so weit entfernten Land zu haben. Am Ende der Woche wurden dann in vielen Fächern Tests und Prüfungen geschrieben. Freitags fanden immer Footballspiele statt und es gab natürlich auch die festlichen Bälle und Veranstaltungen wie “Homecoming”, die man aus vielen amerikanischen Filmen kennt.”
Du hast es bereits angesprochen, denkst du, das Auslandsjahr hat dein Leben beeinflusst?
Juliane: “Auf jeden Fall. Zuerst einmal muss ich sagen, dass es nur circa vier Wochen gedauert hat, bis ich fließend Englisch sprechen konnte. Mir wurde kurz vor meiner Rückreise gesagt, dass man eigentlich nicht mehr erhören konnte, ob ich Deutsche oder Amerikanerin war. Ich habe nie wieder so gut Englisch gesprochen, wie damals. Natürlich war es eine großartige Erfahrung und auch Chance, so jung schon ein anderes Land genau kennenzulernen. Ich denke auch, dass mich die familiären Probleme meiner Gastfamilie, die ich mit ansehen musste, sowohl verunsichert, als auch gestärkt haben. Wie gesagt, hätte ich höchstwahrscheinlich niemals das Abitur geschafft, wenn ich nicht solch eine tolle Lehrerin in Mathematik gehabt hätte. Als ich zurück in Deutschland war, kam ich dann in eine Klasse unter meiner eigentlichen Klassenstufe und wurde auch von vielen bewundert. Allerdings muss ich sagen, dass das Auslandsjahr wirklich nicht nur wohlfühlen war. Ich habe sehr gelitten unter den Problemen der Gastfamilie und war zusätzlich “grundverunsichert” dadurch, dass ich das alles in der Pubertät durchgemacht habe.”
Kommen wir zur letzten Frage: Was würdest du einem Schüler wie mir empfehlen, der über ein Jahr im Ausland nachdenkt?
Juliane: “Für mich habe ich ein eindeutiges Fazit gezogen. Ich finde die Idee, ins Ausland zu gehen, wirklich toll, doch ich habe am eigenen Leib erfahren, wie einschüchternd und ungewohnt diese unglaubliche Umstellung im Jugendalter sein kann. Wenn ich zurückschaue und mich heute jemand fragen würde, ob es eine gute Idee ist, als Schüler ins Ausland zu gehen, würde ich für mich entscheiden, dass es deutlich besser ist, erst den Schulabschluss in der Tasche zu haben, zu wissen, welchen Weg man gehen möchte und sich dann auf die Socken zu machen. Ein Jahr in den USA würde sicherlich auch mehr Wirkung zeigen, wenn man als junger Erwachsener schon mehr Selbstsicherheit und Mut hat. Ich würde jedoch niemandem davon abraten, ins Ausland zu gehen, da es eindeutig ein Wendepunkt im Leben eines jeden ist und man sehr viel daraus lernen kann.”
Vielen Dank für diese exklusiven Eindrücke, Juliane.
Von Marlene Althoff
Klasse: 8/3
Dr.-Frank-Gymnasium Staßfurt