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»Nur kurz die Welt retten«

Ganz so einfach ist das nicht. Bergwächterin Sandra Giebel, 44, erzählt, was für sie dazu gehört. Fast 13.000 Menschen benötigen jedes Jahr eine notfallmedizinische Versorgung in schwierigem Gelände. Aber nicht jeder Notfallsanitäter oder Arzt kann in jedem Gelände eingesetzt werden. Dazu bedarf es einer besonderen Ausbildung und diese haben die Bergretter. Im Harz sind die Bergretter ausschließlich im Ehrenamt unterwegs.

Alma: Seit wann und warum sind Sie bei der Bergwacht?

Sandra Giebel: Gefühlt schon immer, weil meine Eltern in der Bergwacht waren und wir als Kinder waren immer dabei. Skifahren, Klettern, Bergtouren, Zelten, Wandern…das war toll. Als ich nach dem Studium zurück in meine Heimatstadt Wernigerode kam, bin ich dann offiziell eingetreten. Das war vor 20 Jahren. Bergretterin zu sein ist toll. Wir machen alles, was mir draußen Spaß macht und retten dabei noch Menschen. Und wir sind eine total coole Gemeinschaft. Bergwachtkameraden sind so ein Mittelding zwischen Freund*innen und Kolleg*innen. Kolleg*innen, weil wir zusammen lernen und handeln, Verantwortung übernehmen und die Teamarbeit einfach klappen muss. Meinem Seilpartner vertraue ich mein Leben an. Und Freund*innen, weil wir das zum großen Teil sind. Wir verbringen viel Freizeit miteinander, sind füreinander da, hören zu, sind beisammen und haben alle den Hang zum Draußenabenteuer.

Alma: Wie viele Einsätze gibt es im Jahr und wie schlimm sind diese?

Giebel: So 80 bis 100 Einsätze im Jahr haben alle drei Bergwachtbereitschaften im Ost-Harz. Da ist von der Blase wegen den schlechten sitzenden Wanderschuhen, die versorgt werden soll bis zur lebensbedrohlichen Erfrierung oder dem Polytrauma (mehrere Verletzungen an verschieden Körperregionen) alles dabei.

Alma: Was war bisher Ihr schlimmster, schönster und spannendster Einsatz?

Giebel: Oh, diese Einteilung nehme ich nicht so vor. Mulmig wird mir, wenn es schwere Verletzungen sind, wo es auf die Zeit ankommt, die wir draußen wegen der schwierigen Bedingungen oft nicht haben. Nach jedem Einsatz reflektieren wir, was hat gut funktioniert, was lässt sich optimieren. Und ich bin immer froh, dass die Teamarbeit so gut läuft. Das macht auch nach schwierigen Einsätzen ein gutes Gefühl. Und wenn das Gefühl nicht gut ist, reden wir darüber. Zum Beispiel, weil es eine gefährliche Situation war oder nach einer Reanimation oder auch wenn Suizid im Spiel war.

Alma: Wo passieren die meisten Unfälle und warum?

Giebel: Die meisten Einsätze finden bei uns schon in dem Gebiet rund um den Brocken statt. Das vereiste Eckerloch ist gerade ein Klassiker. Das Problem ist, dass unser Mittelgebirge unterschätzt wird. Fahrradfahrer sollten einen Helm tragen und Wanderer richtiges Schuhwerk. Momentan ist im Tal Frühling, aber im Eckerloch sorgen Grödel für den sicheren Tritt auf den vereisten Wegen oder dem glatt getretenen Schnee.

Alma: Wie wirkt sich die Bergwacht auf Ihren Alltag aus?

Giebel: Einmal in der Woche treffen wir uns zum Dienstabend. Der wird für Absprachen genutzt, für Austausch und für regelmäßige Fortbildung. Mal ist das die Erste Hilfe, mal eine Trainingsfahrt mit dem Motorschlitten oder dem ATV (Quad mit Anhänger für Patient*innen) und im Sommer treffen wir uns an irgendeinem Felsen zum Klettern.
Außerdem sollte jede*r von uns ca. sieben Brockendienste im Jahr machen. Dazu kommt die Absicherung besonderer Veranstaltungen. Nur zum Spaß und natürlich zum Üben verabrede ich mich mit einigen Kamerad*innen am Wochenende zum Klettern, wenn wir Zeit haben. Und dann fühle ich mich verantwortlich für unseren Bergwacht-Nachwuchs. Bei den Bergwichteln vom Jugendrotkreuz bereiten wir Kinder von 6 bis 16 Jahre auf die Aufnahme in die Bergwacht vor. Mit der bewegungsfreudigen Rasselbande habe ich dann immer alle 14 Tage montags Spaß. Auch dabei helfen Kamerad*innen mit, besonders, wenn wir von April bis Oktober am Fels sind. Und damit ich beim Einsatz nicht schlappmache, gehe ich einmal die Woche joggen. Außerdem bin ich Vorsitzende des Fördervereins der Bergwacht Wernigerode e.V., aber auch da sind wir ein Vorstandsteam, das sich die Arbeit einteilt. Wenn du in der Bergwacht bist, bist du niemals allein und Langeweile gibt es bei uns nicht. Für mich ist das alles ein schöner Ausgleich zu meinem Bürojob als Geschäftsführerin. So fühlt sich alles in Balance an, auch wenn es nach viel Zeit und Aktivität klingt. Es ist die perfekte Verbindung zwischen Abenteuer und „was Gutes tun“, eben doch ein kleines bisschen wie „nur kurz die Welt retten“.

 

Von Alma Giebel 

Klasse 8a 

Gerhart-Hauptmann-Gymnasium Wernigerode

 

Quelle:

Interview mit Bergwächterin Sandra Giebel