Recht auf Selbstbestimmung?
Abtreibungen oder Schwangerschaftsabbrüche sind ein sehr umstrittenes Thema, bei dem man aus ethischer Sicht auf einige Schwierigkeiten trifft. Einerseits möchte man die Würde des ungeborenen Lebens schützen. Auf der anderen Seite hat jede Frau ein Recht auf Selbstbestimmung. Sicherlich findet man Gründe für und gegen Abtreibungen, doch rechtfertigt das, warum Frauen in Deutschland der Zugang zu sachlichen Informationen erschwert wird? Ein Artikel von Nikki Bloch.
In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach §218 rechtswidrig, doch für manche Fälle gibt es eine Straffreiheit. Diese gilt, wenn für die Mutter durch die Geburt eine akute Gefahr für die körperliche oder psychische Gesundheit besteht, die Schwangerschaft Folge eines sexuellen Gewaltverbrechens ist oder wenn die Frau einen Schwangerschaftsabbruch verlangt, und sich mindestens drei Tage davor beraten lassen hat. Beim ersten Fall dürfen dann seit der Empfängnis maximal 22 Wochen und bei den anderen beiden Fällen maximal 12 Wochen vergangen sein. Auch dafür zu ‚werben‘ oder eine Erklärung zum Inhalt bekanntzugeben ist für Ärzte und Ärztinnen, die diese Behandlungen durchführen, gesetzlich nicht gestattet und wird mit einer Freiheits- oder Geldstrafe geahndet. Das besagt der §219a. Konkret verbietet er Ärzten und Ärztinnen “des Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise” Möglichkeiten zur Abtreibung zu bewerben. Dazu zählen eigene oder fremde Dienste zur Vornahme/Förderung dessen und die dementsprechenden Mittel, Gegenstände und Verfahren.
Die Gegner*innen dieses Paragraphen sind der Meinung, dass man Schwangeren damit nur erschwere, sachlich geprüftes Material zu diesem Thema zu finden, wodurch ihr Recht auf Selbstbestimmung eingeschränkt werde. Jede Frau sei selbst in der Lage, über ihren Körper zu entscheiden und habe auch ihre Gründe dafür.
Diese Gründe sind genauso individuell wie die Menschen. Die häufigsten Gründe sind Alter, die soziale beziehungsweise finanzielle Situation oder die Beziehung zum Vater des Kindes. Ebenfalls können medizinische Aspekte, die Entscheidung, keine Mutter werden zu wollen, aber auch sexuelle Straftaten wie Vergewaltigungen Ursachen sein. Aus ihren Erfahrungen beschreibt die Gynäkologin Maja Korsch vom WIR Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin, dass häufig Frauen im höheren Alter, die mit der Familienplanung längst abgeschlossen haben, oder junge Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr abtreiben würden. Auch eine schlechte oder gar nicht vorhandene Beziehung zum Vater hätten zu dieser Entscheidung geführt. Bei 20 bis 30 Fällen pro Jahr deutschlandweit sei der Grund eine sexuelle Straftat. Die soziale Situation spiele ebenfalls eine große Rolle. Einige Frauen hätten mindestens schon ein Kind und nicht die Ressourcen oder die emotionale Kraft, für ein weiteres Kind zu sorgen, meint die Allgemeinmedizinerin Kristina Hänel, die sich seit Jahren für die Abschaffung des §219a einsetzt, damit Betroffene sich leichter über Abtreibungen informieren können. Durch das Bereitstellen von Informationen wurde Sie mehrfach angeklagt und ging gegen den Paragraphen vor, weshalb der Fall überregionales Interesse weckte. Sie ergänzt außerdem, dass einige Schwangere an Krankheiten leiden, welche nicht für eine medizinische Indikation ausreichen würden, es ihnen aber trotzdem auf emotionaler Ebene nicht möglich mache, ein Kind zu bekommen.
„Frauen wünschen sich für das Kind eine gute Zukunft“, erzählt Frau Hänel. Aber wenn sie sich nicht dazu in der Lage fühlen, dem Kind eine solche Zukunft zu bieten, ist eine Abtreibung eine Alternative. Immerhin ist Mutterschaft etwas, das das gesamte Leben verändert und eine große Verantwortung mit sich bringt.
Doch bevor ein Schwangerschaftsabbruch überhaupt durchgeführt werden kann, müssen Frauen in Deutschland zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung gehen und danach mindestens drei Tage Bedenkzeit abwarten. Die WHO riet Deutschland bereits, diese Beratungspflicht und die Bedenkzeit abzuschaffen. „Die Pflicht einer Beratung an sich widerspricht sich schon“, findet Kristina Hänel. Das verlängere nur den Zeitraum zwischen Empfängnis und Abbruch, wodurch die Risiken größer würden. Eine Beratung an sich sei eine gute Möglichkeit für Frauen, die sich bei dieser schwierigen Entscheidung selbst nicht sicher seien. Dafür gibt es online Angebote wie pro Familie oder das WIR Zentrum, aber auch das Jugendamt bietet Alternativen und Unterstützung für Mütter an. Bei Frauen, die sich allerdings schon vorher entschieden haben, ist eine Beratung wahrscheinlich nur eine Zeitvergeudung. In den meisten Fällen haben sie für sich die richtige Wahl getroffen. Die Frage, ob sie schon erlebt habe, dass Frauen einen Schwangerschaftsabbruch bereut haben, beantwortete Frau Korsch mit Nein. Jedoch sagte sie, dass viele Frauen traurig danach wären, aber teilweise auch erleichtert. Kristina Hänel erwähnte einige Ausnahmefälle. Frauen, die sehr zweifelhaft sind und den Abbruch doch im Nachhinein bereuen oder Frauen, die
von den Vätern beeinflusst oder gezwungen worden sind. Trotzdem ist das nicht der Regelfall und die meisten Frauen stehen auch nach Jahren noch hinter ihrer Entscheidung.
Doch wie steht es gesetzlich um dieses Thema? Durch §218 sind Schwangerschaftsabbrüche allgemein verboten, gelten in einigen Fällen aber als straffrei. „Damit drängt man die Frauen in die Ecke und stellt sie als Kriminelle da“, findet Maja Korsch. Oft würde solch eine Verurteilung durch religiöse Aspekte beeinflusst werden. Außerdem wäre ein Urteil darüber schwierig, da man selbst nicht einschätzen könne, in welcher Situation sich diese Menschen befinden. Vielleicht würde man genau so handeln, wenn man in der gleichen Situation wäre. Immerhin bringt ein Kind eine enorme Veränderung im Leben, für die man bereit sein muss. Auch Frau Hänel beurteilt §218 kritisch. Für Schwangere träten mehrere Probleme dadurch auf. Abgesehen davon, dass eine Abtreibung als Verbrechen gilt, müssten Frauen die Kosten dafür in der Regel allein tragen. Die Krankenkasse würde es nur bezahlen, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt. Manche Krankenkassen würden diese Leistung auch übernehmen, wenn das Einkommen der Frau gering ist. Ebenfalls bemängelt sie die Fristenregelung bis zur 12.Woche nach der Empfängnis des Kindes.
Durch §219a will man „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche unterbinden. Befürworter*innen des Paragraphen befürchten, dass diese „Werbung“ zweifelnde Frauen endgültig dazu bewegen könnte, abzutreiben, obwohl sie das Kind vielleicht doch behalten hätten. Außerdem möchte man die Normalisierung von Abtreibungen verhindern. „Ein Schwangerschaftsabbruch ist kein medizinischer Eingriff wie jeder andere“, meinte Gesundheitsminister Jens Spahn.
Aber würden solche Eingriffe wirklich zur Routine in Krankenhäusern werden, wenn Frauen besser an Informationen dazu kommen?
Dafür könnte man die Situation in der DDR betrachten. Dort war es Frauen ab dem 9.März 1972 gesetzlich gestattet, bis zu 12 Wochen nach der Empfängnis selbst über die „Unterbrechung der Schwangerschaft“ bestimmen. Zwar war es ein absolutes Tabuthema in der DDR, dennoch ist bekannt, dass viele Frauen illegal die Schwangerschaft abbrechen ließen oder es selbst taten. Dagegen gab es nur schwachen Protest von Seiten der Kirche und der Ärzteschaft, was diese Gesetzgebung jedoch nicht behinderte. So wurde die „Schwangerschaftsunterbrechung“ mit der Zeit zur Normalität. Krankenhäuser besaßen Spezialbereiche, welche Abtreibungen routinemäßig durchführten. Die Anzahl dieser Eingriffe stieg zum Bespiel im Bezirk Gera von 1000 Eingriffen im Jahr 1971 auf 5000 Eingriffe im Jahr 1973. Bis zum Ende der 80er Jahre brach jede dritte Frau ihre Schwangerschaft ab. Doch mit sozialpolitischen Maßnahmen wie der Einführung des Babyjahres oder der verkürzten Arbeitszeit für Mütter stabilisierte sich diese Rate wieder. Obwohl eine Studie auf das Ergebnis kam, dass Frauen „sehr verantwortungsbewusst“ mit einer Abtreibung umgingen, wurde bemängelt, dass Ärzte und Ärztinnen ihre Beratungspflicht des zeitlichen Aspekts wegen vernachlässigten und den Frauen meist schon Termine gaben ohne über mögliche Alternativen, soziale Maßnahmen oder künftige Verhütungsmethoden zu sprechen.
Wie man sieht, kam es in der DDR zu einem Anstieg der Schwangerschaftsabbrüche, allerdings muss man sich vor Augen führen, dass damals solche Eingriffe legal waren und heute nur der Zugang zu Informationen dieses Gebietes legalisiert werden soll. Außerdem bekamen die Mütter zu dieser Zeit weniger soziale Hilfen und es gab weniger sexuelle Aufklärung als heute. Daher kann man diese beiden Situationen nicht vergleichen und nur mutmaßen, ob die Abschaffung des Paragraphen die Zahlen erhöhen würde.
„Eine Abtreibung ist niemals normal“, meint Frau Hänel dazu. Sie zweifelt daran, dass die Abschaffung von §219a die Anzahl erhöhen würde, da Frauen auch mit Informationsverbot nicht davon abgehalten werden können. So gesehen erschwert es ihnen den Weg zum Ziel, verhindert es aber nicht. Außerdem ist in §219a die Rede von Werbung, doch ist es Werbung, sachliche Informationen zu veröffentlichen? Frau Korsch ist da anderer Meinung. Eine Abtreibung sei nicht lukrativ für Ärzt*innen und es sei auch schwer, welche zu finden, die solche Eingriffe durchführen. Außerdem gilt dieses „Werbeverbot“ nur für Personen, die Abtreibungen durchführen. Das bedeutet, jede*r andere kann im Internet vermeintliche Auskünfte dazu hochladen. So treffen Schwangere auf Pseudoinformationen oder Websites von Abtreibungsgegnern, gerade bei einer so wichtigen Entscheidung.
Es ist schon hervorgegangen, dass der Sinn hinter §218 und §219 die Minimierung der Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche ist. Doch schafft man das wirklich mit einem Verbot? Die Antwort ist Nein. Hier gilt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das sieht man beispielsweise an Frauen aus Polen. Dort herrschen noch strengere Abtreibungsgesetze als in Deutschland und viele Polinnen
kommen nach Deutschland oder treiben illegal ab, was für sie große gesundheitliche Risiken bedeutet. Bessere Rahmenbedingungen für Mütter wären eine viel effektivere Variante, um dieses Ziel zu erreichen, erklärt Kristina Hänel. Solche Bedingungen wären ein besserer und eventuell kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln, mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, Sexualpädagogik für Kinder/Jugendliche und liberalere Abtreibungsgesetze. Damit würde man größtenteils den oben genannten Ursachen für Schwangerschaftsabbrüche entgegenwirken.
Wenn man dann schon über Sexualpädagogik für Jugendliche spricht, sollte man dann auch über Schwangerschaftsabbrüche reden? In Bayern ist dafür an den weiterführenden Schulen der sogenannte „Aktionstag für das Leben“ vorgesehen. Damit versucht man, „bei den Kindern die Verantwortung vor dem ungeborenen Leben“ zu wecken. Eine gute Maßnahme zur Prävention von Abtreibungen? Wohl kaum, findet Frau Hänel. Eine solche Aktion beruhe nicht auf wissenschaftlichen Aspekten und hätte daher keinen aufklärenden Charakter. Das Einzige, was man damit bewirke, wäre, den Kindern eine bestimmte Ideologie zu vermitteln. Gerade Jugendlichen sollte man nicht beibringen, dass sie diese Entscheidung über ihren eigenen Körper nicht selbst treffen dürfen. Hilfreicher wäre es, sie stattdessen über Verhütungsmethoden aufzuklären und sie auf entsprechende Hilfsangebote oder Beratungsstellen beispielsweise pro Familie hinzuweisen.
Ziel dieses Artikels ist es nicht, Schwangerschaftsabbrüche zu verharmlosen. Natürlich handelt es sich dabei nicht um einen normalen medizinischen Eingriff. Doch jede Frau hat ihre individuellen Gründe, die eventuell nicht jeder nachvollziehen kann. Das gibt aber niemandem das Recht, diese Menschen in ein Stigma von Gut und Böse zu drängen. Denn am Ende sind sie es, welche die körperliche Belastung und wahrscheinlich auch die Verantwortung für das Kind tragen. Mit §219a verwehrt man ihnen jedoch, schnell und unkompliziert an fachliche Informationen zu kommen, auf deren Basis sie ihre eine eigene Entscheidung treffen können. Damit bevormundet man Frauen überflüssiger Weise, denn niemand trifft diese Wahl leichtfertig und unüberlegt.
Von Nikki Bloch
Klasse: 8.3
Werner-von-Siemens-Gymnasium Magdeburg
Quellen:
- Interview mit Maria Korsch: 17.04.2021
- Interview mit Kristina Hänel: 19.04.2021