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Risiko pur! In 80 Tagen über das Wasser um die Welt

Etwa 8500 Menschen haben je den Mount Everest bestiegen, 450 sahen die Erde aus dem Weltall, doch erst 100 schafften die härteste Regatta der Welt. Nicht umsonst wird diese Weltumseglung als „Everest der Meere“ bezeichnet. Diese Regatta ist eine enorme Herausforderung, die dem menschlichen Körper seine Höchstleistung abfordert und ans Limit bringt. Auch beinhaltet sie viele Risiken und Probleme. Doch trotzdem stellen sich immer wieder einige dieser mentalen Herausforderung, der Vendèe Globe Regatta.

„Trois, deux, un, zero!“ Der Countdown ist gezählt, 33 Schiffe starten am 8.11.2020 aus dem Hafen von les Sables d’Olonne. Am Anfang segeln die größtenteils französischen Teilnehmer noch als geschlossenes Feld, sie werden von vielen Booten begleitet, doch diese fallen nach und nach zurück, die Segler bleiben allein auf dem Wasser. Schwere Wochen stehen ihnen bevor, das ist bekannt, eine Weltumsegelung ist nicht ohne Risiken. Meterhohe Wellen, die über die Reling schlagen, Gischt die einem ins Gesicht spritzt, schnell vorwärtssegelnde Boote durch viel Wind, das sind nahezu Dauerzustände bei der Vendèe. Aber auch schöne Erinnerungen, wie faszinierende Landschaftsbilder oder nahezu „fliegende“ Boote sind hier nicht selten.
Die 1989 von Phillipe Jeantot erfundene Regatta findet seit 1992 alle vier Jahre statt. Dieses Mal starteten 27 Männer und sechs Frauen den Trip um die Welt. Die non-stop Regatta ist für Einhandsegler, d.h. also nur eine Person auf einem Open 60 Segelboot. Das Ankern ist nicht erlaubt, die Teilnehmer sind somit gezwungen immer stückchenweise zu schlafen, meist nur 15 bis 30 Minuten, seltener eine Stunde und das mindestens 80 Tage lang. Um dieses Unmögliche möglich zu machen, steht ihnen bestmögliche technische Ausstattung zur Verfügung, Radar und Frühwarnsystem sind Grundbausteine. Mentale Unterstützung können sie jedoch nur vom Land erwarten, die Regatta hat keine Begleitboote.
Doch was am Anfang kurios und unüberlegt scheint, hat einen triftigen Grund. Start und Ziel der Regatta ist les Sables d’Olonne, eine Hafenstadt an der französischen Westküste. Von dort aus segeln die Teilnehmer direkt nach Süden, einmal quer durch den Atlantik. Nach der Umrundung des Kap der guten Hoffnung geht es weiter durchs Südpolarmeer, die gefürchtetste Etappe in dieser Regatta, wie auch im gesamten Segelsport. Eisige Temperaturen, hohe Windgeschwindigkeiten, riesige Wellen und keine Aussicht auf Rettung vom Land. Kein Verkehrsmittel ist in der Lage, jemandem hier zur Hilfe zu kommen, sollte es zu schweren Unfällen oder Ähnlichem kommen. Den meisten Booten fehlt der Sprit, um die Strecke zu bewältigen, auch Helikopter können diese Distanz keine zwei Mal zurücklegen. Somit bleiben als „Notretter“ nur andere Teilnehmer. Bei kleineren Aussetzern sind die Segler auf sich gestellt, alle Defekte müssen sie selbst reparieren, bei fremder Hilfe wird der Teilnehmer disqualifiziert, auch hier bleibt das Ankern verboten. Ersatzteile finden sich jedoch reichlich an Bord. Bei größeren Defekten bleibt den entsprechenden Seglern nur eine Möglichkeit: zurück ans nächstgelegene Land, die Regatta abbrechen.
Während der eisigen Etappe im Südpolarmeer segeln die Boote nach Osten, das Kap Leeuwin (Australien) und das Kap Hoorn (Südamerika) werden ebenfalls an Backbord liegen gelassen. Nach der Umrundung letzteren wird der Kurs wieder Richtung Norden gewendet, es geht zurück durch den Atlantik, Richtung Frankreich, nach les Sables d’Olonne. Jedoch wird immer darauf geachtet, nicht zu nah an die Küste zu kommen nahe der Ostküste Südamerikas, sowie auch der Westküste Afrikas gibt es öfters windarme oder windstille Gebiete, die es zu umfahren gilt. In einer so genannten Flaute landete dieses Jahr der Franzose Yannick Besthaven, diese kostete ihn seinen hohen Vorsprung, er fiel weit zurück. Jeder Segler legt in der Regatta insgesamt etwa 24.000 Seemeilen zurück, entsprechend etwa 48.500 Kilometer. Die Segelboote haben zumeist eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 30 Knoten, also etwa 70 Kilometer pro Stunde. Mit dieser Geschwindigkeit legt man die Distanz in etwa 80 bis 110 Tagen zurück, abhängig von Wind und Wetter.
Im Punkte Sicherheit bleibt somit einiges offen. Die Reise ist ein Risiko, das wissen alle Segler. Bereits mehrere Male kenterten die Boote auf der Reise, oft im Südpolarmeer. Nachdem der Kanadier Jerry Roufs im Jahr 1996/97 nach einem Orkan im Süden verschollen blieb, weil er wie

auch drei weitere kenterte, die jedoch gerettet werden konnten, wurden verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Es gibt eine virtuelle Linie um die Arktis, die nicht überfahren werden darf. Diese soll Kollision mit Treib- oder Packeis verhindern, die von Satelliten beobachtet und anschließend nummeriert werden. Auch sind die Boote so gebaut, dass ein vollständiges Sinken fast unmöglich ist, selbst nach komplettem Durchkentern richten sie sich selbst wieder auf. Eine umfangreiche Auswahl an Notsignalen ist zudem auch vorhanden, sodass eine relativ schnelle Rettung durch andere Teilnehmer möglich ist. Die durch die Rettungsaktion vom Kurs abweichenden Boote bzw. deren Skipper bekommen für ihren Einsatz von der Jury einen Zeitbonus, der zum Schluss von der Gesamtzeit abgezogen wird. Doch trotz dieser Sicherheitsmaßnahmen kenterten immer wieder einzelne Boote. Der vor 12 Jahren gekenterte französische Teilnehmer Jean le Cam konnte er nach gut 16 Stunden, die er auf seinem kieloben treibenden Boot verbrachte, von dem Skipper der PBR gerettet werden. Genau jenes Boot, jedoch mit einem anderen Skipper, brach in diesem Jahr durch hohen Wellengang und Sturmfront auseinander, Kevin Escoffizer konnte gerade noch einen Hilferuf senden, bevor dessen Boot vollends sank. Es kamen ihm einige Teilnehmer entgegen, schließlich konnte sich Jean le Cam durch eine sensationelle Rettung bei Nacht revanchieren, dazu gratulierte sogar der französische Präsident.
Doch mittlerweile sind solche oder ähnliche Aktionen immer seltener nötig, viele segeln mittlerweile mehr auf sicherer Basis als auf Schnelligkeit. So auch Boris Hermann, der erste deutsche Teilnehmer an der Regatta, der dieses Jahr startete. Die seit 30 Jahren bestehende Regatta hat meist nur Franzosen als Teilnehmer, es gibt nur wenige andere Nationalitäten. Das Ergebnis ist auch ganz klar auf der Siegerliste zu sehen, jedes Jahr gewann bis jetzt ein Franzose die Vendèe Globe Weltumsegelung. Doch Boris Hermann bleibt zuversichtlich. Schon nach wenigen Wochen wird er Publikumsliebling, durch die vielen Videos, die er von seinem Boot aus dreht. Auch andere Skipper zeigen ihren Fans jede Woche Ausschnitte aus dem Leben an Bord und erläutern die Umstände, aber Boris hat definitiv die meisten Zuschauer gewonnen, obwohl er sicher und trotzdem schnell mitsegelt. Er hat sich das Ziel gesetzt, unter die Top Ten zu segeln, und im zweiten Durchlauf des Atlantiks zeigt sich, dass das sehr wahrscheinlich ist. Wenige Seemeilen vor dem Ziel besteht für ihn durchaus die Möglichkeit als Erster ins Ziel zu kommen, doch in der letzten Nacht kollidiert er mit einem Fischerboot, als er sich kurz zur Ruhe legt. Warum das technische System ihn nicht gewarnt hat, ist noch nicht klar, aber eins steht fest, den ersten Platz bekommt er somit nicht mehr.
Als Erstes trifft somit der Franzose Charlie Dalin im Ziel ein. Jubel, Freude und Heiterkeit sind dort die Folge, alle Anwesenden feiern ihn. Auch er ist natürlich überrascht, nach 80 Tagen, sechs Stunden und 15 Minuten wieder auf festem Boden zu stehen. Vor Ort ist Stimmung angesagt, Charlie selbst trifft mit Leuchtfackeln in den Händen ein, mehrere Schiffe im Hafen starten ein Feuerwerk. Trotzdem ist er nicht der Sieger. Der als zweites eintreffende Yannick Besthaven kann sich durch einen Zeitbonus doch noch den ersten Platz sichern, auch er wird vor Ort mit viel Gejubel und Feuerwerk von Fans, Freunden und natürlich seinem Team empfangen. Aber auch für den fünftplatzierten Boris Hermann ist der Jubel groß, nach 80 Tagen und 15 Stunden wieder Menschen aus der Nähe sehen. Sein Chef und seine Frau begrüßen ihn bereits auf dem Wasser, noch bevor das Boot angelegt hat. Er hat alle, insbesondere seine eigenen Erwartungen, übertroffen, ein Kindheitstraum geht in Erfüllung. Er ist als erster deutscher Teilnehmer an der Vendèe Globe Regatta auf dem fünften Platz im Gesamten gelandet. Das Mitgefühl unter den Fans, aber auch der Respekt unter den Bestplatzierten, ist groß. Yannick selbst habe gehofft, dass Boris als erstes ankäme. Aber auch wenn er nicht der Sieger der Regatta ist, ist es ein großer Triumph für ihn, größer als es für „Landratten“ vorstellbar ist. 80 Tage ohne Familie, ohne andere Menschen. 80 Tage mit leichter Kost, schwerer, körperlicher sowie mentaler Arbeit und wenig Schlaf, etwas Derartiges kann man sich nicht vorstellen. An der Stelle ist der Applaus, das rot-goldene Feuerwerk, die Freude und die Begeisterung für ihn, und für alle anderen Teilnehmer vollkommen berechtigt.
Aber auch zwischen den Teilnehmern herrscht keine Missgunst. Dalin selbst meinte, Yannick’s Sieg sei berechtigt, denn er habe dem Rennen seinen Stempel aufgedrückt. Dieser kann dem nicht widersprechen, doch er meint auch, dass die Regatta eigentlich zwei Sieger habe.
„Das ist halt ein Rennen, Mensch, Maschine und Natur und man muss mit all diesen Faktoren jeden Tag sich auseinandersetzen und jeden Tag, den man es schafft, im Rennen zu bleiben, muss man einfach unglaublich dankbar sein und ich bin einfach unglaublich dankbar im Ziel zu sein.“, so Boris Hermann zum ZDF nach seiner Ankunft im Hafen von les Sables d’Olonne.

Dieses Jahr kamen 25 von 33 Teilnehmern sicher im Ziel an, die anderen mussten die Regatta abbrechen, nur Escoffizier kenterte. „Vor allem diese Erkenntnis, gute Dinge haben Weil, man braucht vielleicht 80 Tage um es bis zum Ziel vom Vendèe Globe zu schaffen und das ist verdammt lange und man muss einfach dran glauben und ich hätte das Ding fast gewinnen können und man muss an die guten Dinge einfach auch glauben!“, so Boris Hermann noch erschöpft in einem Interview mit dem deutschen ZDF zum Abschluss der Regatta.
80 Tage stürmische See, hoher Wellengang, voll seelischer Angst und mentaler Stärke, aber auch voll unvergesslicher Augenblicke, voll Spannung und Freude, all das nehmen die Teilnehmer der Vendèe Globe Regatta mit nach Hause. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und genau diese Hoffnung brauchten alle Teilnehmer, um die Vendèe Globe, die härteste Regatta der Welt, zu beenden, heil zu beenden. Diese Erlebnisse, denen man bei dieser Herausforderung begegnet, vergisst man nie wieder, gute sowie auch schlechte Momente bleiben immer bestehen. Die Vendèe Globe ist die härteste Regatta, die es gibt, nur wenige Menschen haben sich dieser bisher gestellt. All diese Menschen verdienen Respekt, denn sie haben das Unmögliche möglich gemacht und diese Weltumseglung bewältigt. All diese Menschen haben die Schönheit und Härte der Natur gelehrt bekommen, haben unvergessliche Momente behalten und haben einen Traum wahr werden lassen, ihren Traum, ihr großes Ziel.

Von Lennard Hensel
Klasse: 8.3
Werner-von-Siemens-Gymnasium Magdeburg

 

Zitatquelle: https://www.youtube.com/watch?v=smSsfcTm5LQ ~sportstudio — ZDF-Sport