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Ritzen – wenn die Seele unter die Haut geht

… die Blutspur zieht sich längst über den Flur, durch das Schlafzimmer, bis zu Emmas Bett … Mit zehn Jahren verlässt sie ihren Körper. Ein Nachbar und Freund der Familie belästigt sie immer und immer wieder sexuell. Bis er irgendwann wegzieht, doch der Schmerz bleibt.

Mit Rasierklingen versucht sie „ihn“ aus sich herauszuschneiden. Sie hofft, für einen Moment den seelischen Schmerz vergessen zu können. Doch danach kommt alles wieder und die Narben machen alles nur noch schlimmer…
Dieses Verhalten ist keine Seltenheit, etwa jeder dritte Jugendliche in Deutschland verletzt sich mit dem sogenannten Ritzen selbst. Meist schneiden sie sich mit scharfen Gegenständen absichtlich in die Haut, um über das Schmerzempfinden Erlebtes zu vergessen.
Genaue Zahlen gibt es nicht, die Dunkelziffer ist enorm hoch. Es trifft fünf Mal so viele Mädchen wie Jungen. Jungs können den Frust besser nach außen tragen, sei es durch tätliche Angriffe oder verbale Auseinandersetzungen mit Gleichaltrigen oder etwa Extremsport. Mädchen neigen dazu, Aggressionen und Probleme in sich hineinzufressen. Das Ritzen ist ein Hilfeschrei. Auch Ärger in der Familie, Schule, Freundeskreis, Trauer und Schuldgefühle können das Verhalten auslösen. Betroffene können den Druck nicht auf gesunde Weise kompensieren.

Neben dem Ritzen fallen auch das Aufkratzen von Wunden, das Schlagen gegen Gegenstände und das Verbrennen beziehungsweise Verbrühen unter das selbstschädigende Verhalten. Oftmals wird das Verhalten viel zu spät oder gar nicht erkannt. Betroffene sind Künstler, wenn es um das Verbergen der Wunden geht oder wahre Geschichtenerfinder.

Betroffenen kann mit einer Therapie geholfen werden. Es wird ihnen beigebracht, dass Spannung auch abgebaut werden kann, ohne dass man sich selbst verletzt. Es gibt unzählige Methoden zum Spannungsabbau, zum Beispiel starke Reize, wie etwa Beißen in Chili, eiskaltes Duschen oder heftige Geruchsreize wie Ammoniak. Später sucht man nach sozial sinnvollen Spannungslösern – Sport statt Chili.

Emma, die inzwischen eine Therapie gemacht hat, ist neulich sogar fast rund um den Arnesee gejoggt. „Ich fühlte mich so erschöpft wie noch nie, ich dachte, mein Herz springt raus“, sagt sie. „Ein irres Gefühl.“

Von Marie Zeosko, Klasse 8a, Europaschule Gymnasium Gommern